Janka hat geschrieben:
Mal in die Runde gefragt: Kennt das österreichische Recht vergleichbare Definitionen wie beispielsweise das Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794, wo zumindest versucht wird, die umgangssprachlichen Ausdrücke "bürgerlich/Bürgertum" zu definieren:
ALR hat geschrieben:
§ 1. Der Bürgerstand begreift alle Einwohner des Staats unter sich, welche, ihrer Geburt nach, weder zum Adel, noch zum Bauernstande gerechnet werden können, und auch nachher keinem dieser Stände einverleibt sind.
§ 2. Ein Bürger im eigentlichen Verstande wird derjenige genannt, welcher in einer Stadt seinen Wohnsitz aufgeschlagen, und daselbst das Bürgerrecht gewonnen hat.
§ 3. Personen des Bürgerstandes in und außer den Städten, welche durch ihre Ämter, Würden, oder besonder Privilegien, von der Gerichtsbarkeit ihres Wohnortes befreyt sind, werden Eximierte genannt. […]
§ 5. Einwohner der Städte, welche weder eigentliche Bürger, noch Eximierte sind, heißen Schutzverwandte.
§ 6. Bürger und Schutzverwandte der Stadt werden nach den Statuten ihres Wohnorts, Eximierte hingegen nach den Provinzialgesetzen, und in deren Ermangelung, nach dem allgemeinen Gesetzbuche beurtheilt.
Wenn vergleichbare Definitionen im österreichischen Recht zum fraglichen Zeitraum vorhanden waren, dann könnte man sich evtl. auch ableiten, was der Ausdruck "fälschlich bürgerlich" meint. Wenn nicht, kann man ja nur Spekuliern und Arbeitshypothesen aufstellen.
1001 Grüße
Die von Ihnen angeregte synchrone Komparatistik ist ein sehr interessanter Ansatz, bei einer solchen Rechtsgeschichtevergleichung stoßen wir aber rasch an Grenzen, wenn wir es mit zwei ganz verschiedenen legistischen Konzepten (im weitesten Sinne) zu tun haben.
Bereits Maria Theresia war es ein Anliegen, aus damaliger Sicht enorm avantgardistische Gesetze zu erlassen, welche einen stark
egalitären Touch haben; denken Sie an ihre »Allgemeine Schulordnung«, welche — Standesfragen ganz absichtlich völlig ignorierend — die
Unterrichtspflicht (de facto Pflicht zum Schulbesuch) für Mädchen und Knaben vom 6.–12. Lebensjahr bestimmte.
Die bekannteste Kodifikation ist freilich das ABGB, historisch »Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie« (StF: JGS Nr. 946/1811)
http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno- ... e=00000275 welches sich
seit 1. Jänner 1812 ununterbrochen in Kraft befindet.
Ich meine, die Denkmodelle sind bei den folgenden Beispielen fast gegensätzlich — das ALR gilt praktisch nur subsidiär, es wird ja vom örtlichen Gewohnheitsrecht verdrängt; das ABGB von 1811 hingegen setzt nicht nur das Römische Recht explizit außer Kraft, sondern
schafft das Gewohnheitsrecht grundsätzlich ab — und betrachtet alle Rechtsunterworfenen als Bürger, selbst die kaiserliche Familie unterwirft sich in Bezug auf ihr Privatvermögen dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch:
(Promulgationsklausel)
»Aus der Betrachtung, daß die bürgerlichen Gesetze, um den Bürgern volle Beruhigung über den gesicherten Genuß ihrer Privat-Rechte zu verschaffen, nicht nur nach den allgemeinen Grundsätzen der Gerechtigkeit; sondern auch nach den besonderen Verhältnissen der Einwohner bestimmt, in einer ihnen verständlichen Sprache bekannt gemacht, und durch eine ordentliche Sammlung in stätem Andenken erhalten werden sollen, haben Wir seit dem Antritte Unserer Regierung unausgesetzt Sorge getragen, daß die schon von Unseren Vorfahren beschlossene und unternommene Abfassung eines vollständigen, einheimischen bürgerlichen Gesetzbuches ihrer Vollendung zugeführt werde.
(…) Dadurch wird das bis jetzt angenommene gemeine Recht, der am 1. November 1786 kund gemachte erste Theil des bürgerlichen Gesetzbuches, das für Galizien gegebene bürgerliche Gesetzbuch, sammt allen auf die Gegenstände dieses allgemeinen bürgerlichen Rechtes sich beziehenden Gesetzen und Gewohnheiten, außer Wirksamkeit gesetzt. (…)«
»Einleitung.
Von den bürgerlichen Gesetzen überhaupt.
Begriff des bürgerlichen Rechtes.
§ 1. Der Inbegriff der Gesetze, wodurch die Privat-Rechte und Pflichten der Einwohner des Staates unter sich bestimmt werden, macht das bürgerliche Recht in demselben aus.
(…)
Andere Arten der Vorschriften, als:
a) Gewohnheiten.
§ 10. Auf Gewohnheiten kann nur in den Fällen, in welchen sich ein Gesetz darauf beruft, Rücksicht genommen werden.(…)
d) Privilegien.
§ 13. Die einzelnen Personen oder auch ganzen Körpern verliehenen Privilegien und Befreyungen sind, in so fern hierüber die politischen Verordnungen keine besondere Bestimmung enthalten, gleich den übrigen Rechten zu beurtheilen.
(…)
§ 20. Auch solche Rechtsgeschäfte, die das Oberhaupt des Staates betreffen, aber auf dessen Privat-Eigenthum, oder auf die in dem bürgerlichen Rechte gegründeten Erwerbungsarten sich beziehen, sind von den Gerichtsbehörden nach den Gesetzen zu beurtheilen.
(…)
Privat-Gut des Landesfürsten.
§ 289. Auch dasjenige Vermögen des Landesfürsten, welches er nicht als Oberhaupt des Staates besitzt, wird als ein Privat-Gut betrachtet.«